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Psychische Gefährdungsbeurteilung: So sieht sie in der Praxis aus
Die regelmäßige psychische Gefährdungsbeurteilung (GB-Psych) ist für alle Arbeitgeber – auch für Kleinbetriebe bis maximal zehn Beschäftigte – Pflicht. Und der Gesetzgeber meint es ernst: Seit dem 1. Januar 2018 gibt es verstärkt Kontrollen: Gewerbeaufsichtsamt, Berufsgenossenschaft sowie Renten- und Unfallversicherung überprüfen, ob die GB-Psych erhoben wird. Passiert das nicht, müssen die Unternehmen eine Geldstrafe zahlen.
Mit dieser Checkliste sind Sie optimal für die psychische Gefährdungsbeurteilung aufgestellt.Was Arbeitgeber erfassen müssen
Betriebe sind verpflichtet zu analysieren, ob es Arbeitsbedingungen gibt, die psychisch belasten und laut Gesetz „eine Gesundheitsgefährdung hervorrufen können", also krank machen. Dabei ist es nicht Aufgabe der Arbeitgeber zu überprüfen, ob ein einzelner Mitarbeiter aufgrund seiner persönlichen Konstitution die Arbeit als psychisch stressend empfindet. Vielmehr müssen Unternehmen die Rahmenbedingungen der Arbeitsplätze und Tätigkeiten insgesamt unter die Lupe nehmen. Darunter versteht das Gesetz beispielsweise:
die Arbeitsintensität (wie quantitative oder qualitative Überforderung der Mitarbeiter),
die Arbeitsorganisation (Arbeitszeit, Arbeitsablauf, Kommunikation/Kooperation),
die Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit (wie Schichtwechsel, Arbeitszeit- undPausenregelungen),
Umgebungsfaktoren wie Lärm, Beleuchtung und Klima,
mangelndes soziales Miteinander am Arbeitsplatz (Streit, Mobbing ect.),
schlecht gestaltete Arbeitsprozesse (wie häufige Störungen im Arbeitsablauf) und
das Führungsverhalten der Vorgesetzten, denn Führung hat große Auswirkungen auf die psychische Beanspruchung der Mitarbeiter.
Wirkung von Stressoren und Ressourcen nach dem Job-Demands-Resources-Modell (Quelle: Amt für Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin)
Wie funktioniert die Psychische Gefährdungsbeurteilung?
Die GB-Psych lässt sich zum Bedauern vieler Arbeitgeber nicht nebenbei erledigen. Zwar muss die Beurteilung psychischer Belastungen nicht gesondert erfolgen, sondern sie kann im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden, doch sie ist arbeitsaufwendig. Da das Gesetz zum Beispiel eine Maßnahmenüberprüfung und eine Dokumentation vorschreibt, empfiehlt es sich, die Schritte im Einzelnen zu planen und umzusetzen.
1. Schritt: Vorbereitung
Klären Sie, wer für die GB-Psych im Unternehmen verantwortlich ist und legen Sie einen Zeitrahmen fest. An der praktischen Umsetzung sind meist mehrere Akteure im Betrieb beteiligt wie die Geschäftsleitung, HR, Arbeitsmediziner, Betriebsarzt, Betriebsrat, Arbeitssicherheitsfachkräfte und Verantwortliche für das Betriebliche Gesundheitsmanagement. In der Regel entscheidet ein Arbeitskreis, in welcher Form die Mitarbeiter informiert sowie befragt werden und wie Verbesserungsmaßnahmen gestaltet werden können.
2. Schritt: Festlegen von Mitarbeitergruppen nach Tätigkeiten und Bereichen
Das Gesetz schreibt vor, dass Sie bei der psychischen Gefährdungsbeurteilung die Art der Tätigkeiten unterscheiden. Denn Mitarbeiter an der Telefonzentrale sind anderen Belastungen ausgesetzt als ein Verkäufer oder der Projektleiter IT. Sie dürfen Gruppen mit gleichartigen Arbeitsbedingungen zusammenfassen – entweder nach Arbeits- und Organisationsbereich (Verwaltung, Produktion, Lager, Außendienst u.a.) oder nach Berufsgruppe (Führungskräfte, Kundendienst, Ingenieure u.a.). Die Bildung der Gruppen muss für die Kontrolldienste nachvollziehbar sein und in der Dokumentation verständlich erklärt werden.
Beispiel: Ein Dienstleistungsunternehmen mit 70 Mitarbeitern unterteilt die Tätigkeitsfelder inMitarbeiter IT, Mitarbeiter Logistik, Bürokräfte (Vertrieb), Bürokräfte (Controlling) und Mitarbeiter-Empfang.Oder ein produzierender Betrieb bildet folgende Gruppen: Ingenieure, Mechatroniker, Produktionshelfer, Vertriebsmitarbeiter, Verwaltung und Geschäftssteuerung.
3. Schritt: Erfassen der psychischen Belastung am Arbeitsplatz
Wie Sie die möglichen Belastungssituationen erheben, ist dem Gesetzgeber egal. Sie haben völlig freie Hand. Das macht es gleichzeitig schwierig, denn es gibt keinen Königsweg – auch wenn manche externen Dienstleister dies im Internet behaupten.
Zunächst können Sie alle Informationen zusammentragen, die im Unternehmen schon vorliegen und die im weitesten Sinne über die psychische Belastung bei der Arbeit Auskunft geben: beispielsweise Daten aus Mitarbeiterbefragungen, Fehltage pro Abteilung, Krankenstand insgesamt, Langzeiterkrankte, Mitarbeiterfluktuation oder geäußerte Gesundheitsbeschwerden.
In der nächsten Phase haben Sie die Qual der Wahl zwischen anonymisierten schriftlichen oder Online-Fragebögen, Interviews mit einer Gruppe von Mitarbeitern nach Tätigkeit/ Beruf und moderierten Analyseworkshops mit einer Gruppe von Mitarbeitern oder alle drei Verfahren kommen zur Anwendung.
Finger weg von Standardfragebögen und Checklisten für den Einstieg: Die meisten Fragebögen, die Sie im Internet finden, sind nicht auf die Tätigkeiten in Ihrer Branche zugeschnitten. Bei der Auswahl eines Instruments und des Fragebogens kommt es auf die betrieblichen Rahmenbedingungen, Betriebsgröße, Tätigkeitsbereiche, Branche, und die Art der Arbeitsanforderungen an. Verwenden Sie wissenschaftlich geprüfte Fragebögen. Mehr Infos finden Sie unter www.gda-psyche.de und www.gefaehrdungsbeurteilung.de. Auch die Unfallversicherungsträger, Berufsgenossenschaft und die zuständige Arbeitsschutzbehörde geben Auskunft über passende Instrumente.
Der Betriebs-/Personalrat hat bei der Organisation und Durchführung der Gefährdungsbeurteilung Mitbestimmungsrechte.
Arbeitgeber müssen aber nicht alle Beschäftigten in die Untersuchung miteinbeziehen, sondern nur eine stellvertretende Gruppe für eine Tätigkeit oder einen Beruf. Große Unternehmen entscheiden sich eher für das Instrument “Fragebogen", das sie entweder an alle Beschäftigten richten oder nur an eine Gruppe von Mitarbeitern, z. B. an alle Verkaufs- oder Vertriebsmitarbeiter. In kleinen Betrieben mit bis zu 200 Mitarbeitern bietet es sich jedoch an, alle zu befragen: Ohne großen Mehraufwand bekommen die Beschäftigten das Gefühl, dass auch ihre Meinung wichtig ist.
Es empfiehlt sich, Workshops von externen Experten moderieren zu lassen. Moderiert die Personalabteilung, der Betriebsarzt oder der Geschäftsführer den Analyseworkshop, werden sich Mitarbeiter nicht offen äußern.
Der Arbeitgeber muss die Befragung und die psychische Gefährdungsbeurteilung nicht selbst durchführen, sondern kann damit fachkundige Personen schriftlich beauftragen.
4. Schritt: Beurteilung der psychischen Belastungen
Nach der Messung der Belastung geht es um die Beurteilung der ermittelten Belastung. Aber ab wann ist ein Arbeitsumstand psychisch belastend? Dazu gibt es keine allgemeingültigen Grenzwerte. Im Kern müssen Sie zusammen mit den anderen Akteuren selbst zu einer Einschätzung zu kommen, ob und an welcher Stelle Maßnahmen nötig sind.
Sie können sich beispielsweise um die drei Belastungen kümmern, die die meisten Beschäftigten als störend angegeben haben. Zum Beispiel: zu häufige Arbeitsunterbrechung, Lärm am Arbeitsplatz und schlechtes Arbeitsklima. Danach kümmern Sie sich um die anderen Punkte.
Oder Sie arbeiten nach dem Ampelsystem. Wenn bis zu einem Drittel der Belegschaft eine bestimmte Belastung angibt, steht die Ampel auf Grün, dann muss nicht reagiert werden. Wenn bis zu zwei Drittel eine Belastung angegeben, steht die Ampel auf Gelb und Sie sollten genauer nachschauen: Ist nur ein bestimmter Arbeitsbereich betroffen oder nur eine bestimmte Tätigkeitsart? Wenn über zwei Drittel eine Fehlbelastung angegeben haben, steht die Ampel auf Rot und Sie sollten auf jeden Fall Gegenmaßnahmen ergreifen.
Schauen Sie zur Interpretation auf die internen Daten, die Ihnen vorliegen: Spiegelt sich eine hohe Fluktuationsrate in der Verwaltung möglicherweise in der Befragung der Tätigkeitsgruppe wider?
Sie können Referenzwerte, also externe empirische Vergleichswerte nutzen, etwa aus der gleichen Berufsgruppe oder aus Betrieben derselben Branche. Fragen Sie die Unfallversicherer oder Krankenkassen.
Bilden Sie Vergleiche in Ihrem Betrieb: Wenn in der Tätigkeitsgruppe „Mitarbeiter-Controlling“ die Krankmeldungen deutlich höher liegen als bei Produktentwicklern oder im Kundendienst, und die Befragten gleichzeitig angeben, dass die Arbeitsunterbrechungen zu häufig sind, wissen Sie, wo Sie tätig werden müssen.
Es kann sinnvoll und notwendig sein, zur Analyse der Daten Fachleute hinzuzuziehen.
5. Schritt: Entwickeln und Umsetzen von Maßnahmen
Die Maßnahmenentwicklung und -umsetzung ist die zentrale Phase und das Ziel der GB-Psych. Es gibt verschiedene Vorgehensweisen:
Sie können zwischen leicht und zeitnah zu realisierenden Maßnahmen (Quick Wins) und eher längerfristigen Aufgaben unterscheiden. Wenn Sie mit den Quick Wins beginnen, erhalten Mitarbeiter das Gefühl, dass ihre Anliegen schnell wahrgenommen werden, was sich positiv auf die Identifikation mit Arbeitgeber auswirkt.
Sinnvoll kann es auch sein, zunächst zu analysieren, von welchen Belastungsfaktoren die größten Gefahren für die psychische Gesundheit der Beschäftigten ausgehen (zum Beispiel Lärm) oder von welchen Risiken die meisten Beschäftigten betroffen sind. Hat eine Mehrheit das Betriebsklima als belastend angegeben, sollten Sie zuerst diesen Bereich angehen.
Außerdem hat sich bewährt, die Mitarbeiter selbst nach ihren Vorschlägen zu fragen. Was hilft, die psychische Belastung am Arbeitsplatz zu reduzieren.
Bei der Umsetzung können Betriebe oft mit verhältnismäßig kleinen Maßnahmen eine große Wirkung erzielen. Beispiele:
Wenn viele Mitarbeiter angeben, dass sie der Umgebungslärm sehr bei der Arbeit stört, können Sie Headsets und Raumteiler anschaffen.
Haben mehr als zwei Drittel der Mitarbeiter das Gefühl, dass Infos nicht weitergegeben werden, führen Sie regelmäßige Teamsitzungen (Jour fixes) ein.
Erleben die Beschäftigten das Arbeitsklima als belastend und fühlen sich von ihrem Vorgesetzten missachtet, sollten die Führungskräfte im gesundheitsgerechten Führen geschult werden.
Durch eine unklare Aufgabenverteilung fühlen sich Mitarbeiter häufig demotiviert und es kommt zu Unstimmigkeiten zwischen den Kollegen, die das Klima negativ beeinflussen. Personaler und Vorgesetzte können dies mit klaren Stellenbeschreibungen verhindern.
6. Schritt: Wirkungskontrolle und Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung
Das Gesetz fordert, dass Betriebe nachhalten, ob sich die psychische Belastungssituation nach Umsetzung der Maßnahmen verändert hat oder nicht. Wenn Sie zum Beispiel Maßnahmen ergriffen haben, um die Unterbrechungen bei der Arbeit zu verringern (Aufklären der Kollegen, geschlossene Zimmertür o.a.), sollten Sie nach einer angemessenen Frist kontrollieren, ob sich die Zahl der Störungen tatsächlich verringert hat. Dazu können Sie die betroffenen Beschäftigten mündlich fragen oder eine schriftliche Kurzbefragung durchführen.
7. Schritt: Dokumentation
Alle Betriebe sind gesetzlich zu einer Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung verpflichtet.Aus der Dokumentation muss erkennbar sein, dass die Gefährdungsbeurteilung angemessen durchgeführt wurde, welche Maßnahmen ergriffen wurden und ob die Schutzziele des Arbeitnehmers erreicht wurden. Die Dokumentation kann in Papierform oder aber auch in Form elektronisch gespeicherter Dateien geführt werden.
Was passiert, wenn Sie die GB-Psych nicht vornehmen?
Wenn ein Arbeitgeber in Deutschland die Gefährdungsbeurteilung ignoriert, kann ihn die Landesbehörde für Arbeitssicherheit auf die Verletzung seiner Pflichten hinweisen. Kommt der Betrieb diesem Hinweis innerhalb einer gesetzten Frist nicht nach, kann die Pflichtverletzung als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld in Höhe von bis zu 25.000 Eurogeahndet werden. Im schlimmsten Fall kommt es zur strafrechtlichen persönlichen Haftung des Geschäftsführers, weil er „die Unversehrtheit eines Mitarbeiters“ auf's Spiel setzt. Dies kann Freiheitsstrafen von einem Jahr beziehungsweise eine entsprechend höhere Geldstrafe nach sich ziehen.
Fazit
Die GB-Psych ist kein „Kinderspiel“. Sehen Sie sie dennoch nicht als Pflicht, sondern als Chance. Nutzen Sie die GB-Psych, um Ausfallrisiken von Mitarbeitern zu reduzieren und Prozesse zu verbessern sowie als Startschuss für ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Denn letztlich stehen Unternehmen vor der Aufgabe, die körperliche und psychische Gesundheit der Mitarbeiter zu fördern, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten.
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